Heute ist der Tag der Komplimente. Ein Tag, dessen Bezeichnung mich gerade angesichts der an vielen Orten zunehmenden „Kommunikationsunkultur“ einerseits ein bißchen ratlos macht, andererseits dazu motiviert über mein eigenes Kommunikationsverhalten (gerade auch in sozialen Medien) nachzudenken.
Das Spiel mit Nähe und Distanz
Vor ein paar Jahren habe ich an der Akademie der Ruhr-Universität eine zweijährige Weiterbildung im Bereich Mediation und Konfliktmanagement absolviert. Es war eine Zeit, in der ich natürlich viel über Mediation, Konflikte und Methoden zur Konfliktlösung gelernt habe. Gleichzeitig habe ich aber auch viel über mich selbst gelernt – gerade auch im Hinblick auf mein Auftreten, meine Selbstwahrnehmung und die (jeweilige) Fremdwahrnehmung. Kommunikation spielt da natürlich eine große Rolle. Es war interessant und gleichzeitig eine Herausforderung, dieses Thema auch in der Studienarbeit zum Thema Kooperation zu vertiefen. Meine berufliche Herangehensweise, die sich auch in meiner Kommunikation zeigt, ist von der Tendenz her „kritisch-analytisch“. Eine Herangehensweise, die natürlich mit einer gewissen Distanz verbunden ist. Diese Distanz empfinde ich für mich im beruflichen Bereich als hilfreich und notwendig, vor allem um (rechtliche) Probleme überhaupt zu sehen und ansprechen zu können. Die (fast natürliche) Folge ist eine eher fehler- und defizitorientierte Gesprächskultur – ich sehe das, was fehlt, was falsch ist, was problematisch ist und auch mir wird eher berichtet, was fehlt, noch nicht fertig ist, noch gemacht werden muß. Dank und Lob gibt es natürlich auch – aber schon eher selten und in eher kleinen Portionen. Ich schreibe das nicht, weil ich jetzt bemitleidet werden möchte, sondern eher als Ausgangspunkt meiner Überlegungen, die auch mit den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun haben.
Kooperation ist aber gerade auch das Herstellen von Nähe – kommunikativer Nähe. Das war für mich ein durchaus schwieriger Aspekt, mit dem ich mich für meine Studienarbeit bewußt beschäftigen mußte.
Meine damalige Aufgabe an mich: etwas Nettes schreiben
Im Januar 2012 durfte ich meine Studienarbeit als erste in unserer Gruppe präsentieren. Ich hatte lange überlegt, wie ich das Thema angehe. Schriftlich hatte ich zu dem Thema Nähe und Distanz einige persönliche Absätze geschrieben, aber ich wollte das, was ich gelernt hatte, auch in der Praxis „zeigen“. Nach längerem Nachdenken kam ich auf die Idee für jeden Teilnehmer der Weiterbildung einen eigenen Briefumschlag mit einer freundlichen Botschaft zu schreiben. Bei einigen, mit denen ich damals befreundet war, fiel mir das ziemlich leicht. Bei einigen weiteren, mit denen ich mich gerne unterhielt, war das auch noch ziemlich einfach. Aber bei einigen war es auch ziemlich schwierig. Nicht jeder Kursteilnehmer war mir in den zwei Jahren gleichermaßen ans Herz gewachsen ……. Ich weiß heute nicht mehr, was ich den Einzelnen geschrieben habe und das ist auch nicht wichtig. Es war das bewußte Durchbrechen von Distanz und kritischer Analyse, die für mich ein besonders schönes Erlebnis war.
Und was hat das mit dem Tag der Komplimente zu tun?
Meine damalige Erfahrung hat interessanterweise viel mit dem Tag der Komplimente zu tun. Ich sehe einerseits oft sehr überschwängliche Worte, die ich selber nicht nutzen würde (Beispiel: die wunderbare X, der wunderbare Y), ich sehe andererseits oft sehr harte Worte, die aufgrund der räumlichen Distanz und der Wortwahl als noch einmal härter wahrgenommen werden, als sie (vermutlich) gemeint sind. Aus harten Worten werden dann oft harte und feindliche Schlagabtäusche, die mit Gesprächen und Kommunikationskultur nichts mehr zu tun haben. Wie wahr fühlt sich da oft der Ausspruch „der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“ an.
„Dummerweise“ können wir aber nicht allein existieren. Der Ausspruch „Niemand ist eine Insel“ macht das deutlich – Gesellschaft braucht eine gewisse (kommunikative) Nähe. Diese Nähe kann durch einen Gruß, ein freundliches Wort oder ein Lächeln entstehen. Nadia Zaboura hat das auf Twitter vor kurzem als „soziales Gewebe“ bezeichnet. Eine schöne Bezeichnung wie ich finde.
Das Gewebe der freundlichen und netten Äußerungen
Der Begriff des Kompliments hat mir immer Bauchschmerzen bereitet, weil das lobende oder schmeichelnde Element so stark herausklang. Es stellt sich jedoch ganz anders dar, wenn wir eher an wohlwollende oder freundliche Äußerungen denken. Komplimente sind dann nicht mehr „freundliche Lügen“ (Du siehst heute aber gut aus) oder aktueller „alternative facts“, sondern ein Faden im Gewebe der Gesellschaft – ein Faden, der ein Gespräch werden kann – was wiederum wunderbar zum Begriff des „Threads“ (Gesprächsfaden) paßt. Wenn aus einzelnen Fäden ganz viele Gesprächsfäden werden, dann können wir gemeinsam Gesellschaft gestalten.
Ja, mir fällt es heute noch weniger als damals (für meine Kurskollegen) leicht, gute und freundliche Worte für die Menschen zu finden, deren Einstellungen, Worte und Handlungen ich ablehne. Aber mit völliger Ablehnung spiele ich das Spiel mit und schneide Fäden ab und ich habe gerade nicht das Gefühl, das zerschnittene Fäden ein gutes soziales Gewebe sind. Vielleicht schaffe ich es nicht, die Worte zu schreiben oder auszusprechen – aber (und auch das ist etwas, was ich aus der Weiterbildung mitgenommen habe) ich werde intensiv darüber nachdenken, welchen guten Grund jede(r) Einzelne hat, so zu reden und zu handeln, wie er/sie es tut.