Schon im Oktober 2015 entstand der Entwurf dieses Blogbeitrags. Ich habe ihn jetzt zuende geschrieben und nur unwesentlich verändert ….
Ich bin im Moment gegen Vieles. Es ist auch gerade sehr einfach „dagegen“ zu sein, denn es gibt so viele Dinge, die man „anprangern“ kann.
Ich bin nicht allein
Dagegen sein ist geradezu „in“ – wenn ich zum Beispiel in meine Twittertimeline schaue, dann waren auch heute zahlreiche Tweets dabei, die Vorgänge und Verhaltensweisen benennen, die auch ich ablehne.
Also alles in Ordnung. Denn wie so viele bin ich gegen
– Fremdenfeinlichkeit
– Rassismus
– den Tod von flüchtenden Menschen auf dem Meer
– Anschläge
– Angriffe gegen Menschen egal wo diese herkommen und welche Meinung sie haben
– Hasskommentare
– Transitzonen oder „Lager“ an den Grenzen
– eine Verschärfung des Asylrechts
– geschlossene Grenzen
– die Tatenlosigkeit und Entscheidungsunfähigkeit der EU
– Verrohung der Sprache
Diese Liste (die zum größten Teil tatsächlich schon im Entwurf 2015 stand) ließe sich problemlos fortsetzen. Wahrscheinlich habe ich sogar ein paar richtig wichtige Themen vergessen.
Gemeinsam dagegen?
Es ist natürlich „schön“ zu lesen, daß andere Menschen gegen etwas sind, was man selbst ablehnt. Aber es gibt zwei Aspekte, die mich nachdenklich machen – Vereinzelung und Filterblase.
Auch wenn ich im Laufe eines Tages viele „dagegen“ sehe und lese, so sind diese Äußerungen doch immer vereinzelt. Natürlich entstehen aus den Dagegen-Äußerungen immer wieder gute und aufschlußreiche Gespräche, aber letztlich bleiben es einzelne Ereignisse, einzelne Retweets und einzelne Favs. Es ist nicht einmal ein gefühltes „ich auch“, sondern eher eine lange Aufzählung der einzelnen und einzeln bleibenden „Ich-bin-dagegen-Stimmen“.
Was ich mittlerweile (2018) auch häufig sehe, ist eine Art von Verengung im Hinblick auf das „Dagegen“. Jede Äußerung von Verständnis für die andere Seite, jeder Vorschlag mit „denen“ ins Gespräch zu kommen, führt unweigerlich zu Diskussionen und manchmal auch unschönen Wortwechseln. Beschränkt sich unsere Toleranz darauf, daß wir alle gleichermaßen und im gleichen Ausmaß „dagegen“ sein müssen?
Besonders eindrücklich habe ich ein Twittergespräch im Frühsommer 2017 in Erinnerung. Der Bundestag hatte gerade für die Ehe für alle gestimmt. Eine grandiose Entscheidung – auch wenn ich persönlich davon überhaupt nicht betroffen bin. An einer Stelle habe ich in dem Gespräch gewagt, Verständnis für die Bundestagsabgeordneten zu äußern, die diese Entscheidung nicht mitgetragen haben und zwar insofern Verständnis, als auch Entscheidungen, die ich für falsch halte aus meiner Sicht von der Meinungsfreiheit abgedeckt sind. Es wurde ein ziemlich heftiges Gespräch. Die Unterscheidung, daß ich die Entscheidung gut fand und es mir nur grundsätzlich um die Meinungsfreiheit ging, war schlicht einfach nicht mehr möglich.
Und genauso erlebe ich viele Situationen jetzt. Entweder man ist mit Haut und Haaren bei der „Dagegen-Seite“ dabei oder man ist „draußen“. Wir kennen in unserer Argumentation kaum noch Nuancen. Wer nicht für uns (und damit mit uns „dagegen“ ist), ist halt gegen uns und gegen unser Weltbild. Wir zerfleischen uns – zur Freunde derer, die Grundgesetz und Demokratie nicht wirklich schätzen – selbst und völlig unnötig.
Wenn ich dagegen bin, wofür bin ich dann?
Was mich mittlerweile stark stört und irritiert ist, daß ich aus dem „dagegen“ nur selten ein „dafür“ ableiten kann. Ja, ich bin auch gegen die aktuelle Hartz IV-Regelung. Aber was folgt aus diesem „dagegen“? Auf welches Bild einer Gesellschaft, auf welche konkreten Schritte können wir uns einigen, damit das Leben für alle besser wird?
Mir fehlt – nicht nur in der Politik, sondern auch in der Gesellschaft – das Ziel, die Vision oder von mir aus auch die Utopie. Ich brauche etwas, das ich greifen kann, für das es sich lohnt zu diskutieren, zu streiten und sich zu engagieren. Das kann ein kleines Projekt sein, eine Blogparade – was auch immer. Aber ich sehe in der Ablehnung keine Bewegung, es ist eher etwas, was Hoffnungslosigkeit und Angst verbreitet. Ich bin dagegen und trotzdem tut sich nichts – trefflicher läßt sich Ohnmacht nicht formulieren. Und ja, das stört mich. Ich glaube nicht, daß wir machtlos oder gar ohnmächtig sind. Ich glaube nur, daß wir unsere Möglichkeiten bisher zu wenig wahrnehmen.
Dafür? Ja, für was, denn ….?
Heute morgen habe ich in einem Tweet von Dirk von Gehlen einen kurzen Ausschnitt zu Angst und Hoffnung gelesen. In einem gewissen Sinne glaube ich tatsächlich, daß wir mit Hoffnung mehr erreichen können. Wenn wir also unsere Ideen oder Projekte mit einer konkreten Hoffnung verbinden und diese auch aussprechen, dann könnten wir uns ganz anders verbinden und ganz andere Dinge erreichen. Ich möchte mich für ein starkes und beachtetes Grundgesetz einsetzen, für eine streitbare und funktionierende Demokratie, für die Würde aller Menschen! Ja, ich weiß noch nicht, wie ich das machen kann, aber die positive Formulierung eröffnet mir Türen, die meinem Denken vorher verschlossen waren.
Und wie ist es bei Euch? Dafür oder dagegen? Und wenn ja, wofür oder wogegen?