Vor ein paar Tagen hat Arno Peper bei Twitter den Hashtag #fairerUmgangmiteinander ins Leben gerufen. Es geht ihm dabei darum, der Verrohung der Sprache etwas entgegenzusetzen und damit auch zu verhindern, daß immer mehr Menschen Twitter verlassen oder sich zurückziehen.
Grundsätzlich finde ich die Idee gut. Gleichzeitig sehe ich für mich einige Herausforderungen, die ich in einem Tweet auch schon erwähnt habe, hier aber etwas genauer „beleuchten“ möchte.
1. Verrohung der Sprache
Sprache ist für mich – nicht nur bei Twitter – ein sehr wichtiges Kriterium. Ich glaube nicht, daß man Schimpfwörter oder „beleidigende Bezeichnungen“ (ich meine das nicht im strafrechtlichen Sinne) braucht, um miteinander zu sprechen oder zu diskutieren. Ein gutes Gespräch kann und muß ohne solche Begriffe auskommen. Gleichzeitig merke ich vermehrt, daß bei Twitter eine Art von Sprache Einzug hält, sozusagen salonfähig wird, die ich für mich nicht mag. Nein, diese Sprache ist nicht verboten und ich möchte auch nichts verbieten. Definitiv nicht. Aber es macht mir keinen Spaß, Unterhaltungen zu verfolgen oder daran teilzunehmen, in denen Menschen sich gegenseitig aufgrund abweichender Einstellungen als Dummköpfe, Denunzianten etc. bezeichnen (und das sind jetzt völlig harmlose Beispiele). Da bin ich einfach am falschen Ort. Ich habe schon sehr frühzeitig angefangen, nur Menschen zu folgen, die solche Begriffe – in der Regel – nicht verwenden und ich bin heute sehr dankbar dafür. Trotzdem merke ich auch in meiner Timeline den Trend zu einer Verrohung.
2. Etwas dagegen tun?
Ja und nein, also ein deutliches „jein“. Ich selber achte sehr darauf, auch in Momenten starker emotionaler Betroffenheit keine Schimpfwörter/beleidigenden oder abwertenden Bezeichnungen zu nutzen (auch wenn es in mir drin manchmal brodelt). Nichts wird besser, wenn ich auf meine eigenen sprachlichen Ansprüche verzichte, im Gegenteil – das „Gespräch“ würde vermutlich noch stärker aus dem Ruder laufen und ich würde mich hinterher selbst verachten. Nein, Verrohung meiner Sprache ist für mich kein Gegenmittel.
Meist führe ich Gespräche, die solche Begriffe enthalten nicht weiter oder gehe zumindest darauf nicht ein. Es macht keinen Sinn, einen sprachlichen Abgrund noch zu vertiefen. Da wo ein gemeinsames Gespräch eben nicht möglich ist, würde jedes weitere Wort alles nur verschlimmern. Ich denke hier sofort an die Stufen der Konflikteskalation nach Friedrich Glasl – „gemeinsam in den Abgrund“ ist die letzte Stufe der Eskalation, die bei Twitter in der Regel das ein- oder gegenseitige Blocken ist. Kommunikation ist dann nicht mehr möglich, eine „Konfliktlösung“ auch nicht.
Eigentlich wäre es spannend, sich Twittergespräche mal unter der Maßgabe dieser Konflikteskalationsstufen anzuschauen…….
Eingreifen in Gespräche anderer? Eher nein. Das wäre so etwas wie die Stufe 4 von Glasl – Koalitionen. Man ist in dem Moment zumindest für einen der Gesprächspartner nicht neutral. Wenn ich also einem Twitterer „vorwerfe“, daß er/sie eine unangemessene Sprache verwendet, dann verstärke ich vermutlich den Konflikt. Gleichzeitig fühlt es sich oft schlecht an, wenn Menschen „angegriffen“ werden, deren Meinungen/Tweets man schätzt.
Den Hashtag #fairerUmgangmiteinander verbreiten? Einerseits finde ich den Gedanken dahinter gut, andererseits stehe ich ungern für etwas ein, das ich inhaltlich nicht erklären/definieren kann und was – weil auf Twitter angelegt – flüchtig ist. Für mich hat der Hashtag drei Herausforderungen, die ich im folgenden ansprechen möchte.
3. Die Flüchtigkeit von Tweets
Tweets sind flüchtig. Das ist durchaus gut so, denn sie haben für mich in der Regel den Charakter von momentbezogenen Äußerungen oder Gesprächen. Es ist nicht wirklich wichtig, zu „bewahren“, was ich vor ein paar Tagen zu irgendjemand im Supermarkt oder im Bus gesagt habe. Twitter ist für mich vergleichbar. Deswegen ist für mich eine Initiative, die sich ganz klar auf Twitter beschränkt, von vornherein beschränkt. Ich kann nur begrenzt nachlesen, was sie ausmacht, wer dazu gehört, wer was darunter versteht. Meines Erachtens würde eine Verstetigung/Verbreitung der Initiative einen festen Ausgangspunkt außerhalb von Twitter brauchen, auf den in Tweet auch verlinkt werden könnte. Aber das ist meine persönliche Meinung.
4. Was ist eigentlich fair?
Das ist für mich der schwierigste Teil – was ist eigentlich „fair“? Wikipedia definiert „fair“ beziehungsweise „Fairness“ wie folgt: „Fairness geht als Begriff auf das englische Wort „fair“ („anständig“, „ordentlich“) zurück. Fairness drückt eine (nicht gesetzlich geregelte) Vorstellung von Gerechtigkeit aus. Fairness lässt sich im Deutschen mit akzeptierter Gerechtigkeit und Angemessenheit oder mit Anständigkeit gleichsetzen.“
Alles klar, oder?
Vermutlich hat fast jeder Mensch einen eigenen Begriff von dem, was er/sie als fair, anständig beziehungsweise gerecht empfindet. Oftmals empfinden wir Dinge, die wir selber machen/aussprechen als anständig und gerecht (weil: es ist ja so!), Dinge, die andere machen/aussprechen aber nicht (weil: der-/diejenige hätte mich ja mal vorher fragen können).
Letzlich ist hier wohl die goldene Regel „was Du nicht willst, das man Dir tut, das füg auch keinem anderen zu“. Für mich persönlich haben sich im Laufe der Zeit (und durchaus beeinflußt durch die Mediationsausbildung in der Zeit von 2010 bis 2012) einige Punkte ergeben, die ich bei Gesprächen/Kontakten für mich versuche zu beachten – versuchen deshalb, weil Menschen immer Fehler machen und ich auch oft erst später merke, daß ich meine eigenen Prinzipien nicht beachtet habe.
5. Grundsätzliche Prinzipien
Damit ich „fair“ kommunizieren kann, muß ich für mich einige Grundbedingungen oder Prinzipien einhalten. Wenn ich selber diese Grundbedingungen oder Prinzipien einhalte, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, daß ein Gespräch auch über schwierigere Themen möglich ist. Natürlich kann es trotzdem schieflaufen – denn schließlich führe ich das Gespräch nicht alleine. Mein Gesprächsanteil kann daher positiv oder negativ sein – trotzdem kann das Gespräch „kippen“ und dann bleibt manchmal nur die Möglichkeit für eine gewisse Zeit Gesprächen mit dem/der Gesprächspartner/in aus dem Weg zu gehen, den-/diejenige stummzuschalten, zu entfolgen und/oder zu blockieren. Das eigene Wohlbefinden ist an der Stelle wichtiger als das Wohlbefinden der anderen Gesprächsbeteiligten!
* Wem folge ich und worauf antworte ich?
Menschen äußern auf Twitter ihre Gedanken und Ansichten. Wenn mir die Äußerungen von vornherein nicht gefallen, dann gibt es keinen Grund diesen Menschen zu folgen oder ein Gespräch zu beginnen. Ja, gelegentlich tappe ich auch in die Falle mit dem Gespräch ….. Aber so ganz grundsätzlich als Beispiel: ich mag keine Schokolade (wirklich!!). Gestern oder heute las ich in einem Tweet, daß „ein Leben ohne Schokolade möglich aber sinnlos ist“. Welchen Wert hätte es zu antworten, daß ich Schokolade nicht mag? Es sind oft diese „Du bist dumm/blöd/…., weil Du das magst/oder nicht magst“-Kommentare, die verletzen können. Ich habe das bei eigenen Tweets im Frühjahr oft erlebt. Ja, die Antworten sind oft sogar gut gemeint, aber ich fand sie nicht hilfreich, weil sie meine Ansicht zu einem bestimmten Punkt grundlos in Frage stellen und mir das Gefühl geben, „Deine Ansicht ist nicht in Ordnung“. Doch! Wenn jemand eine Ansicht hat, dann kann ich gegebenenfalls fragen, warum er/sie diese Ansicht hat, aber ich muß doch nicht widersprechen. Damit kommen wir zum nächsten Punkt.
* Fragen stellen
Tweets sind relativ kurze Texte. Manchmal macht man sich über irgendwelche Dinge lange Gedanken, formuliert Sätze im Kopf hin und her und schreibt dann einen Tweet. Dieser Denkvorgang ist im Tweet in der Regel nicht sichtbar. Das, was für mich klar und positiv ist, kann für andere falsch klingen. Statt nachzufragen, wie etwas gemeint ist, kommt dann oft ein Kommentar/eine „gut gemeinte Empfehlung“, die zum Thema/zum Gedanken überhaupt nicht paßt.
Das paßt übrigens auch zur Diskussion um den dpa-Tweet zum Interview mit Carsten Linnemann. Die dpa hat einen Gedanken bewußt überspitzt und damit eine „Diskussion“ (ok, einen „Shitstorm“) nur auf Basis dieser Überschrift losgelöst. Ich habe die Entwicklung der Diskussion voller Spannung verfolgt – auch weil sie das Anspringen auf bestimmte Begriffe (unabhängig von meiner inhaltlichen Ansicht) hervorragend zeigt. Toll fand ich übrigens, daß die dpa die Überschrift korrigiert und das auch getwittert hat. Was an der Diskussion bezeichnend war: kaum jemand hat den Text gelesen oder noch einmal gefragt, hat er wirklich „Grundschulverbot“ gesagt, die meisten haben den Begriff als „so ist es“ angenommen und nur auf diesen Begriff reagiert. Damit kommen wir zum nächsten Punkt.
* Verlinkte Inhalte lesen und nicht nur auf die Überschrift/Stichworte reagieren
Ich retweete in der Regel keine Texte, die ich nicht selbst gelesen habe (Ausnahmen bei besonders vertrauenswürdigen Twitterern!). Das was für den Retweet gilt sollte auch für das Gespräch über ein Thema gelten. Ein Teil unserer kommunikativen Probleme hängt für mich damit zusammen, daß wir Worte/Begriffe aus dem Zusammenhang reißen, uns über unsere Vorstellungen von dem Gemeinten empören – ohne zu fragen „hast Du das so gemeint, wie ich das gerade verstehe“ und damit gelegentlich eine „Empörungswelle“ lostreten, die sich nicht mehr aufhalten läßt. Das zusätzlich schwierige: man kann in diesem Moment praktisch nicht mehr deeskalierend eingreifen.
* Trennung von Person und Sache
Es ist für mich ein Riesenunterschied, ob jemand sagt „Du bist dumm“ oder „Deine Ansicht zum Thema X ist dumm“ (wobei ich auch disese Formulierung persönlich vermeide, bei mir ist es dann im schlimmsten Fall eher „unsinnig“). Ja, auch ich kann mich irren und Gespräche können durchaus dazu führen, daß ich über etwas nachdenke, nach „Beweisen“ suche oder nach der Begründung des Gesprächspartners für die von ihm/ihr geäußrte Ansicht frage. Kein Mensch kann alles wissen. Menschen können sich informieren, sie können lernen – dafür muß ich dem anderen Menschen aber diese Fähigkeit zugestehen. Wenn ich einzelne Punkte/Themen „kritisiere“ fühlt sich das anders an, als wenn ich den Menschen an sich abwerte.
Der zweite wichtige Punkt: auch Menschen, die ich persönlich schätze, müssen nicht in allen Punkten meiner Meinung sein. Gespräche wären langweilig, wenn alle immer dasselbe denken und gut finden würden. Kreativität und Innovation brauchen eine gewisse Reibung. Was ich bei Twitter immer wieder erlebe und problematisch finde: „wenn Du in dem Punkt nicht unserer Ansicht bist, dann gehörst Du nicht zu uns“, also eine Spaltung in „für uns oder gegen uns“. Das macht vieles schwierig – gerade für mich persönlich!
* Dem anderen zubilligen, daß er/sie einen guten Grund für sein/ihr Handeln/Äußerungen hat
Das war eine der schwierigsten „Lektionen“ in der Mediationsausbildung. Ich weiß noch, daß wir an dem Samstag nach dem Kurs zu mehreren essen waren und etwas ratlos über diese Frage diskutiert haben. Unser Diskussionbeispiel damals war (wenn ich mich richtig erinnere) ein Überfall auf eine Apotheke, bei der ein Vater ein Medikament für sein krankes Kind haben möchte. Aus Sicht des Vaters ein „guter Grund“ – er möchte, daß das Kind gesund wird. Aus meiner Sicht (und aus Sicht der Apotheke, der Richter etc.) kein guter Grund. Was wir damals herausgearbeitet haben: ich muß den Grund kennen, um das Handeln/die Äußerungen von anderen Menschen zu verstehen – wobei „verstehen“ nicht „akzeptieren“ oder „gut finden“ meint. Wenn man Menschen auf Twitter länger folgt, dann kann man manche Äußerungen aufgrund ihrer Erfahrungen nachvollziehen. Da wo man es nicht kann hat man eigentlich zwei Möglichkeiten: schweigen oder fragen („warum ist Dir das wichtig?/warum machst Du das?“).
Ich persönlich glaube, daß es ein Teil unserer heutigen Probleme ist, daß wir „am Anfang“ nie gefragt haben, warum Menschen sich für bestimmte Ideen begeistern oder warum sie Angst haben. Wir haben immer nur gesagt, daß das „dumm“ ist. Mir hilft es bei vielen Äußerungen mir deutlich zu machen, daß der/die andere einen „guten Grund“ für seine Äußerungen hat, auch wenn dieser Grund für mich kein „guter Grund“ ist.
* Umgang mit Emotionen
Ich habe lange gedacht, daß es hilft, sachlich miteinander umzugehen. Das ist aber kein Schlüssel für „erfolgreiche“ beziehungsweise „gute“ Kommunikation. Es gibt immer Themen, bei denen wir emotional betroffen sind – weil wir Erfahrungen mit dem Thema gemacht haben, weil wir oder Menschen aus unserem Umfeld davon betroffen sind. Ich habe gerade durch Twitter viel über Menschen und ihre Erfahrungen gelernt – fehlende Inklusion, Umgang mit Rassismus zum Beispiel – alles Dinge, die ich persönlich so nie erlebt habe. Ich bin dankbar, daß ich solche Erfahrungen nie machen mußte (ich habe dafür andere Erfahrungen gemacht, die auch nicht alle schön sind). Es ist oft die Emotionalität dieser Äußerungen, die mir das Ausmaß der Qual oder der Angst deutlich macht. Ich möchte diese Tweets nicht missen – nicht weil ich schlechte Erfahrungen von Menschen schön finde, sondern weil ich Dinge und Äußerungen für mich kritisch hinterfragen kann.
Für mich habe ich folgenden Umgang gefunden: wenn Menschen etwas Schöne erleben und davon schreiben, dann freue ich mich mit ihnen, manchen schreibe ich das auch unter den Tweet. Wenn Menschen schlimmes erleben, dann lese ich das, meistens kommentiere ich aber nicht (Ausnahme: Krankheiten/Todesfälle im engeren Twitterumfeld).
* Umgang mit Sprache
Ich selber nutze auf Twitter (und auch sonst) keine Schimpfwörter. Die inflationäre Nutzung von abwertenden Begriffen lehne ich für mich ab und ich zucke auch oft, wenn ich sie in Tweets von anderen sehe. Letztlich kann ich gute Gespräche nur dann führen, wenn ich gute Sprache nutze, zuhöre und mich mit etwaigen Argumenten inhatlich auseinandersetze, nicht mit Abwertung. Eine persönliche Verletzung durch abwertende Begriffe macht ein Gespräch unmöglich. Für mich gehören ganz viele Begriffe dazu (angefangen bei „dumm“, „Dummkopf“ und „Idioten“ bis hin zu strafrechtlich relevanten Äußerungen).
Meine persönlichen Entscheidungen:
– ich fave/retweete keine Tweets, die für mich sprachlich nicht in Ordnung sind – selbst dann nicht, wenn ich den Grundgedanken teile
– ich folge Menschen nicht, in deren Tweets ich eine Vielzahl solcher Begriffe sehe
Ich hoffe, daß ich mit diesen Prinzipien zumindest sprachlich selten „unfair“ bin.
6. Und nun?
Arno Peper hat vorgeschlagen, Menschen auf unfaire Sprachnutzung hinzuweisen. Das finde ich schwierig, zumal die Frage, was ich empfinde ja nichts mit dem Empfinden der Gesprächspartner zu tun haben muß und es eben keine eindeutige Definition für „unfair“ gibt.
Was ich mir vorstellen könnte (hatte ich schon als Tweets geschrieben):
– eine Blogparade, um Ideen zu diesem Thema zu sammeln
– eine Art freiwillige Selbstverpflichtung zum fairen Umgang miteinander (so etwas wie die X Prinzipien des fairen Umgangs)
– selber mit dem Hashtag um fairen Umgang zu bitten, wenn ich mich in einem Gespräch „angegriffen“ fühle