Vor ein paar Tagen war ich in Berlin in der Open-Air-Ausstellung im Innenhof der Stasi-Zentrale. Ein Zufall, wie so vieles in meinem Leben. Es war ein schöner sonniger Herbsttag, ich wollte etwas „Kulturelles“ machen, nachdem ich am Morgen in der Lesung des 24h-Theaters war. Während der Fahrt mit der Straßenbahn hatte ich die Prospekte von der Tourismusinformation im Hauptbahnhof durchgeschaut und diese Ausstellung entdeckt. Warum also nicht? Ein Kunstmuseum könnte ich ja immer noch besuchen.
Ich verbrachte über drei Stunden im Innenhof. Ich habe in aller Ruhe die ganzen Hinweise gelesen, viele Zeitzeugenberichte angehört und auch einige Gedanken getwittert. Wer mag kann meine Tweets hier nachlesen.
Es waren sehr interessante und bewegende drei Stunden, die ich dort verbracht habe. Interessant vor allem deshalb, weil ich feststellen konnte, daß mir viele Informationen fehlten – und das obwohl ich mich immer für das Thema „Ostdeutschland“ interessiert habe. Diese fehlenden Informationen haben mich nachdenklich gemacht. Ein Beispiel? In meiner Erinnerung war die Zeit 1989 vor allem mit den Leipziger Montagsdemonstrationen verbunden. Als ich vor einigen Jahren in Leipzig war, habe ich mit großem Interesse die Nikolaikirche besucht und sogar einen Roman dazu gekauft („Nikolaikirche“ von Erich Loest). Ich erinnere mich an die vielen Menschen in Ungarn und in der Prager Botschaft, an Genschers Worte auf dem Balkon der Prager Botschaft und an die Züge, die dann von Prag nach Westdeutschland fuhren.
Woran ich mich nicht erinnern konnte: an die vielen mutigen Aktionen der Menschen in Berlin in der Zionskirche und der Gethsemanekirche, an die Demonstrationen im Oktober. Mein Bild war und ist also in keiner Weise „vollständig“.
Nach der Ausstellung bin ich zum Prenzlauer Berg gefahren (weil das ohnehin nicht weit von der Brotfabrik entfernt ist, wo ich am Abend zum Aufführung des 24h-Theaters sein wollte). Ich bin die Stargarder Straße entlanggelaufen und habe mir vorgestellt, wie vor 30 Jahren in den Fenstern Kerzen leuchteten – als Zeichen der Solidarität. Ich bin vor der Gethsemanekirche stehengeblieben und habe die Plakate und Hinweise gelesen, mit denen sich die Gemeinde heute gegen das Unrecht an vielen Orten der Welt engagiert. Und ich habe mich gefragt, was ich eigentlich wirklich vom Osten weiß – also über das hinaus, was ich selbst im Laufe der Jahre bei den jährlichen Besuchen bei meinen Verwandten erlebt habe.
Am nächsten Tag sollte es eigentlich regnen. Als ich mein Gepäck am Hauptbahnhof eingeschlossen hatte wurde das Wetter jedoch besser. Ich verließ den Hauptbahnhof in Richtung Invalidenstraße, um ein bißchen herumzuschlendern bevor ich (ja, guter Versuch….) doch noch in ein Kunstmuseum gehen wollte. Auf meinem Weg erspähte ich auf der linken Seite plötzlich einen schönen Weg an einem Kanal entlang und ein kleines Schild. Ich wollte wissen, was das für ein Weg ist…. Es war der Mauerweg. Natürlich ist mir der Mauerweg in den letzten Jahren schon oft in Berlin „begegnet“, aber ich bin ihm nie bewußt gefolgt. Aber an diesem Sonntag. Der Weg führte an einem Ministerium vorbei zum Invalidenfriedhof, dann über ein paar kleinere Straßen zu einer Straße, an der ich vier alte Friedhöfe fand. Auf dem zweiten Friedhof entdeckte ich ein kleines Schild mit den Öffnungszeiten der Fontane-Dauerausstellung. Ich war etwas überrascht. Was um Himmels Willen macht eine Fontane-Ausstellung auf einem Friedhof? Und was macht diese Anekdote in einem Blogbeitrag über das Jahr 1989? Ich war trotzdem neugierig (ich bin fast immer neugierig ….) und ging an dem Schild vorbei auf den eigentlichen Friedhof. Ich hatte – ohne es zu wollen – den Friedhof entdeckt, auf dem sich das Grabmal von Theodor Fontane befindet. (Auch darüber habe ich natürlich getwittert – hier). Ein älteres Paar hatte kurz nach mir den Friedhof betreten und war zielsicher zum Grab von Fontante gegangen, während ich erst einmal einen Blick auf die kleine Kapelle mit der (geschlossenen) Dauerausstellung warf. Als auch ich zum Grab ging (wenn man schon mal da ist ….) kamen wir ins Gespräch. Er war Germanist, Deutschlehrer und großer Fontane-Liebhaber. Natürlich war er enttäuscht, daß ich mit Fontane nichts anfangen kann und das obwohl ich ja – wie ich mitteilte – viel und gerne lese. Die nächste Frage traf mich allerdings ganz unvermittelt: welche Werke von Menschen aus Ostdeutschland ich denn gelesen hätte? Treffer! Er nannte mir Sarah Kirsch und Günter Kunert als Beispiele. Es war dieser Teil der Unterhaltung, der eigentlich am meisten nachhallte, denn er bringt ja die Frage mit sich: inwieweit bin ich offen für die „Dinge“ und „Werke“, die für Menschen in Ostdeutschland wichtig und prägend waren und sind? Inwieweit bin ich bereit, andere Perspektiven wahrzunehmen? Inwieweit braucht Verständigung auch ein Kennen und Mögen dieser unterschiedlichen Erlebnisse und Perspektiven?
Es war gut, daß der Mauerweg mir diesen Denkanstoß gegeben hat. Zwischenzeitlich wurde ich auch schon mit ein paar guten Hinweisen zu Autorinnen und Autorinen, die ich unbedingt lesen sollte, versorgt – danke an @finenschnabel, die mir auch ein paar persönliche Erlebnisse aus dieser Zeit geschildert hat.
In einem gewissen Sinn ist es eigentlich unwichtig, wo ich vor 30 Jahren war – viel wichtiger ist, wo ich mich jetzt gedanklich befinde. Das war meine spannende Erkenntnis von diesem Wochenende.
Und die Ausstellungen in der Stasi-Zentrale kann ich wirklich empfehlen!
Und eigentlich wollte ich etwas ganz anderes schreiben, aber das bleibt dann einem anderen Blogbeitrag vorbehalten.