Digitalisierung und Demokratie – wer treibt wen?

Letztes Wochenende war ich in Berlin auf der Telemedicus Sommerkonferenz – #soko19 – eine Konferenz, die ich schon seit einigen Jahren gerne besuche. Das Programm war – wie immer – spannend und sehr interdisziplär, wir haben in einigen Bereichen über den Tellerand geschaut.

Besonders begeistert hat mich die Keynote von Jeanette Hofmann, in der es um „Mediatisierte Demokratie – Experimente im digitalen Möglichkeitsraum“ ging. Ein paar der Notizen und Gedanken, die ich mir während dieser Keynote gemacht habe, möchte ich hier zusammenfassen.

Startfrage: Wie ist das Verhältnis von Digitalisierung und Demokratie?
Irgendwie stehen Demokratie und Digitalisierung in einem Verhältnis – die spannende Frage ist, wie dieses Verhältnis aussieht. Häufig liest oder hört man, daß die Digitalisierung der Treiber des Wandels ist. Aber: das dahintersteckende Bild ist etwas merkwürdig. Demokratie wäre dann statisch und würde sich nur aufgrund der Digitalisierung bewegen. Es wäre praktisch eine kausale Beziehung: weil die Digitaliserung antreibt, bewegt sich die Demokratie. Aber: kann das stimmen? Wohl kaum.

Braucht Demokratie ein Gemeinschaftsgefühl?
Spannend fand ich die Frage, ob beziehungsweise in welchem Ausmaß Demokratie ein Gemeinschaftsgefühl braucht. Ein Gemeinschaftsgefühl kann zum Beispiel mit der Nutzung von Medien zu tun haben. Wenn „alle“ die gleiche Zeitung lesen/die gleichen Fernsehnachrichten schauen, dann kann dadurch ein Gefühl von Gemeinschaft entstehen. Diese „mediale Gemeinschaft“ kenne ich noch aus meiner Schulzeit. Man sah die selben Fernsehsendungen, sprach über die selben „Ereignisse“. Heute empfinde ich das oft anders. Es scheint sehr viele kleine „Gemeinschaften“ zu geben, ein Medium, das alle vereint, ist aus meiner Sicht nicht ohne weiteres erkennbar. In dem Zusammenhang mußte ich an den Gedanken des „Lagerfeuers“ denken…..
Schön war in diesem Zusammenhang der Buchtipp: Imagined Communities von Benedict Anderson, in dem es interessanterweise auch um die Entstehung und Verbreitung von Nationalismus geht.

Demokratie in der Krise?
Ist die Demokratie dauerhaft in der Krise? Ist sie einfach eine fragile Herrschaftsform? Eine spannende Frage! Medienwandel, gesellschaftliche Entwicklungen und Demokratie hängen eng miteinander zusammen. Was aber verändert Demokratie oder unser Empfinden von Demokratie? Es gab immer Krisen in der Demokratie (die „alten“ Krisen habe ich leider nicht notiert….). Aktuell haben wir wohl eine „Repräsentationskrise“. Die Kontrolle durch die Öffentlichkeit ist wichtiger als das Wählen, Vertrauen in Politik und Politiker ist nicht mehr gerechtfertigt. Wenn man bedenkt, daß Demokratie durch das ausgemacht wird, was gemacht wird, dann kann man durchaus erkennen, daß Wahlen, Parteien und Parlamente abgewertet werden. Es besteht ein grundsätzliches Mißtrauen, Politikerinnen und Politiker werden abgestraft, einzelne Personen stehen im Vordergrund, die emotionale Bindung zu Parteien fehlt und Politik wird nicht mehr bestätigt wondern abgewählt.
Buchtipp:
Postdemokratie von Colin Crouch
Die Gegen-Demokratie von Pierre Ronsanvallon

Was wäre, wenn …..
… Digitalisierung kein Treiber, sondern ein Übungsfeld demokratischen Wandels wäre?
Durch die Digitalisierung treten einige tiefgreifende Veränderungen ein. Wir können das an einigen Punkten ganz gut sehen – Massenkommunikation, Verschwimmen der Grenzen zwischen öffentlich und privat sowie zwischen Produzenten und Konsumenten. Aber: wie wirken sich diese Änderung auf unser Verständnis von Öffentlichkeit aus?
Wie oben schon angesprochen fehlt uns der gemeinsame Bezugspunkt. Damit verlieren Parteien oft ihre bisherige Anknüpfung, sie werden eher zu Bewegungen, was man am Beispiel Beppe Grillo und Macron gut sehen kann. Gleichzeitig entstehen neue Kollektive und Netzwerke, die sich selbst organisieren und eher temporär bestehen. Fridays for Future ist ein solches Beispiel.Gerade an diesem Beispiel kann man durchaus erkennen, daß die Digitalisierung eben nicht Treiber sondern eher Übungsfeld des demokratischen Wandels ist.

Herausforderungen
Allerdings bleiben Herausforderungen:
– Wie gehen wir mit der Umstellung von Vertrauen auf Mißtrauen um? Welche Auswirkungen hat das auf uns und unsere Demokratie?
– Wie gehen wir mit der Pluralisierung und gleichzeitigen Fragmentierung von Öffentlichkeiten um?
– Wie gehen wir mit dem Niedergang der Parteien und den neuen/neu entstehenden Organisationsformen um?
– Wie wichtig ist/wäre ein nationales Gemeinschaftsgefühl?

Spannende Fragen, die ich mit dem einen oder anderen Buch sicher weiter verfolgen werde. Herzlichen Dank an Jeanette Hofmann und an die Organisatoren und Sponsoren der Telemedicus Sommerkonferenz für diese tolle Keynote!