Was geht (gar nicht) im Netz? Blogparade der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft

Heute ist der 30.11.2012 und gerade eben habe ich zufällig (über einen Beitrag des @Isarmatrose) mitbekommen, daß es diese Blogparade gibt. Ein spannendes Thema und vor allem ein wichtiges Thema – und auch wenn die Zeit jetzt irgendwie knapp ist, möchte ich meine Gedanken zu diesem Thema doch kurz festhalten.

Natürlich habe ich gerade den Beitrag von @Isarmatrose gelesen. In vielen Punkten stimme ich ihm zu, aber nicht in allen – daher bin ich froh, daß ich den Aufruf zur Blogparade noch „rechtzeitig“ mitbekommen habe. Aber zum Thema selbst:

Schon seit Jahren verfolgt mich der Spruch „das Internet ist kein rechtsfreier Raum“. Natürlich ist das Internet kein rechtsfreier Raum und dementsprechend wenden wir – zumindest für unseren Umgang miteinander in Deutschland – auch die rechtlichen Regeln an, die allgemein für den kommunikativen Umgang miteinander gelten. So haben wir z.B. Regelungen, die unser Persönlichkeitsrecht schützen, die den Umgang mit unseren Daten schützen und die uns auch vor Beleidigungen schützen. Diese Regelungen gelten sowohl in der „realen“ Welt als auch im Netz.
Für die „normale“ Kommunikation miteinander haben wir gerade keine gesetzlichen Regelungen. Es ist meine eigene Entscheidung, ob bzw. wie ich mit den Menschen an der Bushaltestelle, beim Bäcker oder beim Arzt spreche. Natürlich habe ich Erwartungen an die Kommunikation mit anderen Menschen – ich möchte höflich behandelt werden, ich möchte ernstgenommen werden, ich möchte akzeptiert werden – aber die jeweiligen Erwartungen hängen von der Situation bzw. vom Kontext ab. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob ich mit Freunden/Bekannten bei einem Treffen „nett“ plaudere oder ob ich mit ihnen ein heiß umstrittenes Thema diskutiere, es ist wiederum ein Unterschied ob ich mit Freunden/Bekannten diskutiere oder mit mir unbekannten Menschen im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung (z.B. einer Bürgerversammlung). Für alle diese Anlässe haben wir keine fest definierten Regeln – vielmehr haben wir (seit unserer Kindheit) Konzepte, wie wir uns in entsprechenden Situation verhalten (höflich, freundlich ….). Auch in der „realen“ Welt ist Kommunikation – trotz aller Bemühungen – nicht immer „erfolgreich“. Tag für Tag reden Menschen aneinander vorbei, mißverstehen sich, streiten sich. Das ist nicht einmal schlecht, denn Konflikte gehören zum Leben und können – wenn sie vernünftig ausgetragen werden – auch zu einer Verbesserung der Situation und zu einer Vertiefung der Beziehungen beitragen. Trotzdem haben wir auch in der realen Welt immer wieder Streitigkeiten zwischen Menschen, die eskalieren. Diskussionen in Kneipen, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf Straßen können plötzlich heftig eskalieren; Menschen, die lange gemeinsam an einem Thema/Projekt gearbeitet haben, streiten sich und begegnen sich nur noch vor Gericht …. – es gibt viele Beispiele, die ich hier gar nicht alle aufzählen möchte. Wesentlich ist aber: auch in der „realen“ Welt gehen wir in der Kommunikation nicht immer „nett“ miteinander um.

Und im Internet?
Ich nutze das Internet seit 2000 und ich nutze es ziemlich intensiv. Im Laufe der Zeit habe ich viel über Kommunikation, über Kommunikationsfallen und auch über mich gelernt. Manche dieser Lernerfahrungen waren anstrengend, aber sie waren wirklich lohnenswert.
Meine erste ausführliche Erfahrung mit Online-Kommunikation war meine Nutzung der Mailinglisten der Webgrrls. Die Mailinglisten funktionierten (und funktionieren auch immer noch) wie folgt: ich abonniere eine bestimmte Liste – zum Beispiel zum Thema „Business“. Ich bekomme alle Emails der Mitgliedsfrauen an diese Liste und ich kann (wenn ich möchte) gestellte Fragen beantworten oder selber Fragen zum Listenthema stellen. Wenn ich selber eine Frage gestellt habe, dann bekomme ich von den Mitgliedsfrauen Antworten, die ich dann in einem Email zusammenfasse. Als „Newbie“ (also kompletter Neuling) waren mir viele Dinge unbekannt und ich habe über diese Mailingliste viel gelernt (sowohl inhaltlich/technisch als auch über den Umgang miteinander). Besonders deutlich erinnere ich mich, daß es für die Nutzung der Mailinglisten eine „Netiquette“ gab – sozusagen die Online-Spielregeln für die Nutzung der Mailinglisten und damit auch für den Umgang miteinander. Wichtig waren in diesem Zusammenhang die Regelung zu Werbung bzw. Spam aber eben auch die Pflicht, eine Zusammenfasung bei eigenen Fragen zu schreiben.
Etwas „fortgeschritten“, habe ich mich dann bei meinen ersten Online-Foren registriert – so auch relativ früh bei Xing (damals noch openbc). Bei Xing habe ich als Nutzerin einen Vertrag mit dem Anbieter geschlossen, die „Spielregeln“ für meine Teilnahme sind in den AGB geregelt. Die Kommunikation in den einzelnen Gruppen, in denen ich Mitglied bin/war, hat sich jeweils sehr unterschiedlich entwickelt. Es gab sehr herzliche und kommunikativ offene Gruppen, in denen viele gute Gespräche geführt wurden, es gab aber auch Gruppen, in denen ich regelmäßig Konflikte mitbekommen habe (wobei das Mitlesen der Konfliktthreads oft durchaus eine lehrreiche Lektüre war).
Weiter ging es für mich mit Twitter – auch hier mit einem Vertrag zwischen mir und dem Anbieter. Im Gegensatz zu den Mailinglisten der Webgrrls und Xing, sind dort nicht alle Nutzer unter ihren „Klarnamen“ unterwegs. Diskussionen auf Twitter haben mehrere Besonderheiten: die Beschränkung auf 140 Zeichen zwingt oft zu (radikalen) Vereinfachungen, Antworten erfolgen sehr schnell, gleichzeitig wird das Umfeld sehr schnell auch in Gespräche bzw. Diskussionen einbezogen. Trotz oder gerade wegen dieser Besonderheiten habe ich bisher auf Twitter viele gute Gespräche führen können, aber über den einen oder anderen Tweet habe ich mich natürlich auch geärgert!

Wann läuft Kommunikation im Internet schief?
– Wir alle haben Themen/Anliegen, die uns sehr wichtig sind. Sagt oder schreibt jemand etwas Negatives oder Falsches über dieses Thema/Anliegen, dann haben wir sehr schnell das Bedürfnis, Stellung zu beziehen. Dabei kann es durchaus passieren, daß wir mit unserer Antwort – eben weil uns das Thema so wichtig ist – über das Ziel hinausschießen. Das kann uns offline (im „realen Leben“) genauso passieren wie online.
– Humor, Ironie und Sarkasmus sind schon im persönlichen Gespräch oft schwierig, in der Online-Kommunikation stellen sie eine große Hürde dar. Gerade im Online-Austausch mit Unbekannten (oder unter Einbeziehung von Unbekannten) ist die Nutzung dieser „Techniken“ oft eine Steilvorlage für heftige Diskussionen.
– Es ist oft einfacher einen langen Text zu schreiben als einen kurzen. Die Beschränkung auf 140 Zeichen bei Microblogging-Diensten wie z.B. Twitter führt einerseits oft zu einer Beschränkung auf wesentliche Aspekte, andererseits zu einer Verkürzung von Erklärungen/Gründen und kann damit oft auch „falsch“, „unvollständig“ oder „provozierend“ wirken.
– Wie reagiere ich auf den veremintlichen „Angriff“? Wenn ich einen Beitrag – egal ob in einer Mailingliste, einem Forum oder bei Twitter – als „Angriff“ empfinde, dann kann ich sehr unterschiedlich damit umgehen (natürlich auch abhängig vom konkreten Medium und der Wichtigkeit des Themas/Anliegens). (a) Ich kann sofort „reagieren“, in dem ich mich wehre. Damit wird die Diskussion in der Regel eskalieren.
(b) Ich kann auf eine Reaktion verzichten. Dies wird mir aber nur beschränkt helfen – wenn ich entweder in der Diskussion schon eingebunden war und die anderen trotzdem weiter diskutieren oder wenn mir das Thema so wichtig ist, daß ich einen „Angriff“ gerade nicht stehen lassen möchte.
(c) Ich kann hinterfragen, was mit dem Beitrag gemeint war – ob ich ihn also richtig verstanden habe.
(d) Ich kann – soweit vorhanden – Moderatoren bitten, sich in die Diskussion einzuschalten.

Was sind meine Empfehlungen für gute Kommunikation im Internet?
– Meine persönliche Grundregel Nummer eins lautet seit vielen Jahren: niemals sofort antworten, wenn man eine ärgerliche Nachricht bekommen bzw. einen ärgerlichen Beitrag gelesen hat. Man sollte zumindest einmal um den Schreibtisch laufen, bevor man – möglicherweise wutschnaubend – auf einen Beitrag reagiert.
– Grundregel Nummer zwei (auch altbekannt): auf der anderen Seite sitzt auch ein Mensch! Ich versuche daher, meine Beiträge so zu schreiben, daß ich auf Inhalte eingehe, durchaus auch äußere, daß ich wütend, genervt, verletzt etc. bin – aber ich muß den anderen nicht beleidigen bzw. persönlich angreifen.
– Bei irritierenden Beiträgen: nachfragen! „Was meinst Du damit?“ Das mag als Zwischenschritt nervig erscheinen, eröffnet aber oft eine Diskussion über ein unterschiedliches Begriffsverständnis.
– Nur Beiträge schreiben, die ich jederzeit auch im Bus/im Café – also in der realen Öffentlichkeit – genauso erzählen könnte.
– Nur mit Bedacht „einmischen“: die Teilnahme an bereits laufenden Diskussionen kann sehr spannend und auch bereichernd sein, andererseits können weitere Äußerungen schnell zu einer Eskalation führen.
– Wichtig ist auch (gerade wenn man neu im Netz ist) erst einmal zu schauen, wie die anderen miteinander umgehen. Was gefällt mir dabei (was möchte ich also genauso machen), was gefällt mir nicht (und was möchte ich daher vermeiden)?

Ist der digitale Meinungsaustausch eine neue Kulturtechnik?
Ja und nein.
Nein, weil wir alle Probleme der „normalen“ Diskussionen hier auch erleben. Wir können – wie in der Kneipe oder der Versammlung – gut miteinander umgehen oder nicht gut, wir können gemeinsam an Themen arbeiten oder wir können uns angreifen. In diesem Punkt, den ich gerne unter „Diskussions- oder Gesprächskultur“ fassen möchte, sehe ich keine Unterschiede.
Ja, weil das Netz eben – wie oben bereits erwähnt – ein paar Besonderheiten hat. Wir können – wenn wir uns die Zeit nehmen – lernen, wie wir damit umgehen und wie wir diese Stolperfallen erfolgreich umgehen. Gute Kommunikation im Netz ist – genauso wie gute Kommunikation im Offline-Bereich – eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Wir können üben, wir können aus unseren Fehlern lernen – aber wir werden (in der Regel) nicht ohne eigene Erfahrungen und Fehler wirklich lernen, gut zu kommunizieren. Hier könnte es sinnvoll sein, schon in den Bereich der Schul- und Ausbildungszeit, die Kommunikation in digitalen Medien einzubeziehen, damit Kinder und Jugendliche frühzeitig lernen, wie gute Kommunikation in digitalen Medien gestaltet werden kann.

Brauchen wir Regeln für die Kommunikation im Internet?
Nein, zumindest nicht im Sinne von (durch den Gesetzgeber) festgelegten Regeln. Wir brauchen aber sicherlich eine Einigung darüber, wie wir miteinander umgehen – sozusagen unseren Online-Knigge! Wann ist ein Online-Verhalten noch in Ordnung, wann sollten wir jemanden der (eben nicht nur inhaltlich sondern persönlich) angegriffen wird, unterstützen und wie sollten wir dies tun. Diese (ungeschriebenen) Regeln haben sich sicherlich in den letzten Jahren schon in vielen Netzwerken entwickelt, aber ich glaube schon, daß wir dieses Thema gemeinsam weiterentwickeln und diskutieren und auch überlegen, ob wir vielleicht – für besonders schwierige Situationen – „Online-Mediationsstellen“ für die Lösung solcher „Konflikte“ anbieten.

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